Das Landschießen in Oschatz 1574

Rund vierzig Jahre nach dem ersten Auszug auf die Viehweide 1537 fand 1574 mittwochs nach Bartholomäus ein Landschießen statt. Bisher wurde dieses in der Literatur fälschlicherweise als „Kreisschießen“ bezeichnet.

Zu einem Frei- oder Landschießen kamen Schützen aller Gesellschaftsklassen aus weiten Landesteilen zusammen. Die ältesten bekannten derartigen Veranstaltungen trugen Frankfurt am Main 1367, Magdeburg 1387, Ulm 1388 und Augsburg 1392 aus. Doch auch in den Wettiner Landen vermehrte sich dieser Brauch. Vor allen anderen deutschen Fürsten ist besonders dieses alte Geschlecht für sein Wohlwollen, Fördern und Unterstützen des Schützentums bekannt.(1)

 

Zu dem als Vogel- und Scheibenschießen 1574 in Oschatz veranstalteten Landschießen erschienen neben der hiesigen Ritterschaft auch Schützen aus Dresden, Pirna, Bischofswerda und anderen Städten im Umkreis von 47 Meilen. Eigens dafür wurde eine neue Vogelstange auf der Viehweide errichtet. Es dauerte eine ganze Woche um die Buden für den Bierausschank, für Glücksspiele sowie eine Kegelbahn aufzubauen. Für die Büchsenschützen wurden 21 Scheiben vorbereitet. Die angereisten Schützen schlugen ihre Zelte auf der Viehweide auf. Umrahmt wurde die Veranstaltung neben dem im Rathaus stattfindenden Schützenschmaus durch Instrumentalmusik des Stadtmusikus’. Auch die Preise waren nicht unbeachtlich: 21 Schock wurden für Gold- und Silberarbeiten ausgegeben, die Georg Muldenhauer und Hanns Freydinger zur Anfertigung von Kleinodien erhielten. Nach Ende des Festes dauerte der Abbau zweieinhalb Tage. Insgesamt kostete das Kreisschießen 127 Schock 47 Groschen 8 Pfennige.(2)

Das Städtekleinod

Äußerst interessant ist auch der Fakt, dass sich die am Landschießen beteiligten Städte zum Abschießen eines gemeinsam gestifteten Kleinods vereinigten. „Czu der stete Kleynod gehören disse nachgeschribene stete: Mießen, Frieberg, Dobelyn, Mitteweyde, Kempnitz, Rochelitcz, Geythan, Altenburg, Smoln, Weide, Ihene, Nuemburg, Oschatcz, Turgaw, Delitczsch, Grymme, Lißnigk, Dreßden, Borne, Lipczk, Pegaw, Weyßenfels und Crymmitczaw.“(3)

 

Die Existenz sowie der Verbleib des Städtekleinods waren lange Zeit in Schützenkreisen unbekannt. Deshalb soll hier die Beschaffenheit samt äußeren Merkmalen grob abgehandelt werden. Für eine vollständige Wappenblasonierung einschließlich aller Abmaße sei an dieser Stelle auf das Buch „Die Privilegierte Scheibenschützengesellschaft zu Oschatz. Von einer Bürgerwehr zum Sportschützenverein des 21. Jahrhunderts“ von Martin Kühn verwiesen.

 

Das silberne Schützenkleinod ist teilweise vergoldet und emailliert. Insgesamt zehn sächsische Stadtwappen werden von einer aus 34 Silberringen bestehenden Halskette gehalten.

Als größtes Wappen ist mittig der Kettenglieder das von freiplastischem silbernem Rankenwerk umgebene runde Goldmedaillon der Stadt Meißen zu finden. Rückseitig ist das Medaillon mit „1513. DER R[AT] VON MEISSEN“ graviert.

Links davon befindet sich das redende Wappen von Rochlitz mit der Aufschrift „rochlic“. An der gegenüberliegenden Seite ist die Leipziger Stadtinsignie angebracht, mit der Bezeichnung „lipczk“.

Diese drei Schilde halten, über drei Ringe verbunden, einen 24,5 cm langen silbernen Pfeil als Symbol des Armbrustschießens.

Rückseitig enthält dieser eine Gravur. Cornelius Gurlitt deutet diese als „61“ und leitet daraus eine Datierung anno 1461 ab.(4) Auch das „GRASSI Museum für Angewandte Kunst“ nennt als Datierungen 1461 und 1513 in ihrem Führungsblatt des Exponates. Dass der Pfeil vor dem Meißner Medaillon entstand, dürfte sicher sein. Inwieweit und ob diese Inschrift überhaupt als Datierung anzunehmen ist, sollte an dieser Stelle jedoch offen bleiben, da auch eine Herstellerbezeichnung denkbar wäre.

Am silbernen Pfeil sind in dreireihiger Aufteilung sieben weitere Anhänger der nachfolgenden Städte befestigt.

In der ersten Reihe befinden sich (v. l. n. r.) die Wappen von Geithain mit der Aufschrift „geyten“, Crimmitschau mit der Aufschrift „KRIMPICZSCHAV“ und Grimma mit der Aufschrift „grimme“. Die drei Wappen der ersten Reihe besitzen runde Endungen.

In der zweite Reihe befinden sich (v. l. n. r.) die Wappen von Grimma (wie das bereits erwähnte Grimmaer Exemplar, jedoch mit spitzem Schild), Freiberg mit der Aufschrift „freybergk“ und Borna mit der Aufschrift „borne“.

Die letzte Reihe bildet das Leisniger Wappen mit der Aufschrift „lisnig“.


Über den Weg des Kleinods lässt sich lediglich spekulieren. Sicher ist, dass laut Bornaer Stadtbuch, von 1434 bis 1519 geführt, bereits 1455 die erwähnten 23 Städte in Grimma um die Trophäe schossen.

Wahrscheinlich waren ursprünglich die Wappenschilde aller Städte angebracht, definitiv fand auch eine Umordnung der Anhänger, möglicherweise um 1513, nach Anbringung des Meißner Stückes statt, worauf die weiteren fünfzehn ungenutzten Löcher am Pfeil deuten. Auch die Stadtschilde besitzen in ihren granulierten goldenen Rahmen zusätzliche Löcher.

 

Laut Gurlitt befand sich die Kette im Leipziger Ratsschatz.(5) Anzunehmen ist, dass die dortige Schützengesellschaft auf Grund des Schmalkaldischen Krieges ihre Schätze der Stadt in Verwahrung gab, wo sie letztlich verblieben und erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einer Truhe wieder aufgefunden wurden. Weiterhin ist bekannt, dass sie das Leipziger „GRASSI Museum für Angewandte Kunst“ um 1875/76 als Überweisung aus dem Ratsschatz übernahm. Die Schützenkette ist heute Teil der ständigen Ausstellung „Antike bis Historismus“ im Raum 10 Renaissance.(6)

 

Ob die heute am Städtekleinod angebrachten Schilde Stiftungen der Städte sind, deren Schützen dieses gewannen, lässt sich vermuten, abgesehen vom Meißner Exemplar jedoch nicht belegen.

 

Abbildungen des Exponates befinden sich darüber hinaus in:

- Cornelius Gurlitt: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, 18. Heft (II. Teil). Dresden 1896, S. 336

sowie

- Gustav Wustmann: Bilderbuch aus der Geschichte der Stadt Leipzig für Alt und Jung. Leipzig 1897, S. 11.

In diesem Zusammenhang soll auch ein mittlerweile aus der Schützentradition verdrängtes Relikt genannt sein – der Schützenkranz. Besonders hinsichtlich der Landschießen wurde ihm eine hohe Bedeutung beigemessen. Dieses, ursprünglich als Grabbeilage oder zu besonderen Anlässen, wie Hochzeiten und Frühlingsfesten, gereichte Symbol, nutzten die Schützen des Mittelalters vielmehr als Ansagezeichen. Nach Abschluss eines gemeinschaftlichen Schießens reichte die ausrichtende Stadt dem künftigen Gastgeber einen Kranz. Das Übergaberitual nahmen meist vornehme Jungfrauen vor. Da die Ausführungen der Landschießen den jeweiligen Stadträten oblagen, fanden die Kränze Aufbewahrung im Ratsschatz. Dementsprechend nutzen die Räte zur Veredelung der aus Gimpe geflochtenen Objekte Materialien wie Perlen, vergoldete und emaillierte, mit Edelsteinen bekrönte Glieder und Stadtwappen.(7)


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(1) Schulze, Adolph: Geschichte der privilegierten Bogenschützen-Gesellschaft zu Dresden mit einem Überblick über die geschichtliche Entwicklung des deutschen Armbrust-Schützenwesens. Dresden 1913, S. 63.

(2) Hoffmann, Historische Beschreibung, S. 173.

(3) Schulze, S. 64.

(4) Gurlitt, Cornelius: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen, 18. Heft (II. Teil). Dresden 1896, S. 335 f.

(5) Ebd.

(6) Geführt wird das Kleinod unter der Inventarnummer V 408.

(7) Pfau, Clemens: Der Kranz im sächsischen Schützenwesen. Ein Beitrag zur geschichtlichen Volkskunde Sachsens, in: Unsere Heimat, Zwickau 1904.

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